Der Begriff „Borderline“ (engl.: Grenzlinie) wird benutzt, weil die entsprechende Störung auf der Grenze zwischen neurotischen und psychotischen Störungen liegt. Vorrangiges Kennzeichen dieser Erkrankung ist eine emotionale Instabilität und Impulsivität, die zu Stress im zwischenmenschlichen Bereich und anderen Problemen führen kann. Borderline wird den Persönlichkeitsstörungen zugeordnet, die sich durch tief verwurzelte und lang andauernde Verhaltensmuster auszeichnen und viele Bereiche des Lebens von Betroffenen beeinträchtigen.
Definition ♦ Symptome ♦ Gemeinsamkeiten und Gegensätze ♦ Narzisst und Borderliner
Was ist Borderline?
Als Borderline-Störung bezeichnete man ursprünglich eine bestimmte Gruppe von Störungen an der Grenze zwischen Neurose und Psychose. Unter einer Neurose versteht man eine nervlich bedingte rein funktionelle Erkrankung ohne Nachweis einer organischen Schädigung. Die Psychose ist eine schwere psychische Störung, die mit einem zeitweiligen weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs einhergeht.
Mittlerweile hat man aber erkannt, dass diese Störung in ihrer Gesamtheit als Persönlichkeitsstörung zu sehen ist. Der Begriff Borderline hat somit zwar seine inhaltliche Bedeutung verloren, wird aber trotzdem beibehalten. Die Borderline-Störung zählt inzwischen zu den verbreitetsten psychischen Störungen.
Die Borderline-Störung ist eine sogenannte emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen neigen dazu, Impulsen ohne Berücksichtigung von Konsequenzen nachzugeben und sie auszuleben, und leiden unter häufigen Stimmungsschwankungen. Ihre Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu explosivem, manchmal gewalttätigem Verhalten führen. Zudem ist das eigene Selbstbild unklar und gestört. Ihre Neigung zu intensiven, aber unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen mit Suiziddrohungen oder -versuchen sowie selbstschädigenden Handlungen führen.
Bei einer solchen Störung sind bestimmte Bereiche des Fühlens, des Denkens und des Handelns beeinträchtigt, was sich durch negatives und teilweise paradox wirkendes Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie durch ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst äußert.
Symptome der Borderline-Störung
Eine Borderline-Störung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet:
1. Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen
Borderliner können nicht alleine sein. Sie haben große Angst vor der Einsamkeit und davor, von ihren Mitmenschen verlassen zu werden. Kleinste Anzeichen wie das Absagen eines Termins oder das Ausbleiben eines Anrufs können große Ängste auslösen. Auch Unstimmigkeiten, Missverständnisse oder Streitgespräche können die Angst vor einer Trennung auslösen. Aus diesem Grund gehen Borderliner oft zu schnell Beziehungen ein, ohne sich hinreichend mit dem neuen Partner auseinandergesetzt zu haben. Sie idealisieren den neuen Partner und projizieren ihre Wünsche auf ihn. Meist gehen sie für diese Beziehung sehr bereitwillig Kompromisse ein, um das Idealbild aufrechterhalten zu können.
2. Gestörte Selbstwahrnehmung
Borderliner mangelt es in einem hohen Maß an Selbsterkenntnis. Sie wissen nicht, was ihre Stärken und ihre Schwächen sind, was sie können und was sie zu leisten im Stande sind. Sie können Erfahrungen mit anderen Menschen häufig nicht reflektieren, sie können keine Rückschlüsse aus Vorkommnissen ziehen und setzen ihren eigenen Anteil am Geschehenen nicht in die richtige Relation. Sie können nicht einschätzen, was wichtig und richtig ist und was schlecht oder gut ist. Sie haben kein Gespür dafür, worauf sie sich verlassen können oder was ihnen guttut. Daher neigen sie zu sprunghaftem, widersprüchlichem und unsicherem Verhalten.
3. Starke Stimmungsschwankungen
Borderliner sind meist sehr impulsiv und leben oft ohne Rücksicht auf Verluste. Sie haben große Schwierigkeiten, ihre inneren Impulse zu beherrschen. Dementsprechend reagieren sie stärker als andere Menschen auf alle äußeren Erfahrungen und Eindrücke, geben sich aber auch inneren Regungen wie Freude oder Schmerz, Liebe, Wut oder Trauer ungehemmter hin. Daraus entstehen Stimmungsschwankungen, von denen sie vollkommen beherrscht werden.
4. Häufige und unangemessene Zornausbrüche
Borderliner sind oft gereizt, verärgert oder wütend und lassen dann ihren negativen Gefühlen ungehindert freien Lauf. Durch ihre enorme Reizempfindlichkeit, die hohe Impulsivität sowie die Unfähigkeit, sich selbst zu kontrollieren, entstehen oft unbedacht Konflikte mit anderen, die auch in körperlicher Gewalt münden können.
5. Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/-versuche
Fühlen sich Borderliner zurückgewiesen oder rechnen sie mit einer endgültigen Trennung von ihrer Kontaktperson, dann neigen sie sehr leicht dazu, mit Selbstmord oder Selbstverletzung zu drohen, um den Vertrauten an sich zu binden. In der Regel haben sie nicht wirklich die Absicht, sich etwas anzutun, sie wollen nur nicht verlassen werden.
6. Fehlen eines klaren Ich-Identitätsgefühls
Borderliner finden keinen Zugang zu ihrem wahren Ich. Sie können nicht erfahren, wer sie im Innersten wirklich sind und welche wahren Bedürfnisse sie haben. Ein beständiges Identitätsgefühl fehlt, das ein gesunder Mensch im Laufe seines Lebens bekommt. Ihre Selbstwahrnehmung ist gekennzeichnet durch ein negatives Selbstbild. Sie glauben nicht daran, gute Eigenschaften zu besitzen, sondern sind der Meinung, sich diese immer wieder neu verdienen zu müssen. Ihnen dient nicht das eigene Empfinden als Richtlinie, sondern die Beurteilung durch andere Menschen.
7. Chronische Gefühle von Leere und Langeweile
Diese Gefühle kommen meist wie aus heiterem Himmel. In einem Moment verhält sich der Borderliner noch ganz normal und im nächsten Augenblick kippt seine Stimmung plötzlich um in ein depressives Gefühl. Allein aus diesem Tatbestand heraus erwächst beim Borderliner das Gefühl, nicht allein sein zu können.
8. Verzweifelte Bemühungen, die eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden
Borderliner haben starke Ängste, von ihrem Partner verlassen zu werden. Schon bei einem zeitweiligen Alleinsein oder einer geringen Verspätung des Partners hat der Borderliner das Gefühl, in eine Isolation zu geraten. Um das ständig erwartete Verlassenwerden zu verhindern, nehmen sie aufgrund dieser Ängste auch eine schädigende Beziehung in Kauf, in der Demütigungen und Gewalt vorherrschen.
9. Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome
Stressbedingt erleben Borderliner manchmal eine vorübergehende Unterbrechung des Bewusstseins, des Gedächtnisses oder auch der Wahrnehmung der Umwelt. Ein solcher psychotischer Gefühlszustand tritt bei Borderlinern in der Regel nur kurzweilig auf und geht auch ohne Behandlung nach wenigen Stunden oder einigen Tagen vorüber. Solche dissoziativen Symptome äußern sich bei jedem Borderliner anders. Der Grund dafür ist, dass Borderliner gelernt haben, schwierige Situationen dadurch zu überstehen, dass sie Teile des Bewusstseins abschalten.
Weitere Symptome, die begleitend auftreten können:
- Depressionen
- Suchtverhalten
- Realitätsverlust
- Verlust des Persönlichkeitsgefühls
- Ängste
- Hysterie
- typisches Schwarz-Weiß-Denken
- Zwänge und Rituale
- psychosomatische Symptome
- Angriffe zur Prävention von Verletzungen durch andere
- Gefühlsstörungen
- gestörtes Sozialverhalten
- Essstörungen
- Kontaktarmut / Abbruch von Kontakten
Jeder Betroffene erlebt die Borderline-Störung anders und nicht bei jedem treten alle aufgeführten Merkmale auf. Die Symptome können in vielfältiger Kombination und unterschiedlicher Gewichtung auftreten.
Gemeinsamkeiten mit dem und Gegensätze zum Narzissmus
1. Gemeinsamkeiten:
- Sowohl der Narzisst als auch der Borderliner lebt rastlos und verharrt in innerpsychischer Isolation.
- Beide können sich nicht in andere Menschen hineinfühlen.
- In ihren Beziehungen haben selbstsüchtige Bedürfnisse höchste Priorität.
- Beide können leicht verletzt und gekränkt werden.
- Beide sind sehr schnell verbittert, Gefühle von Wut und Hass erfüllen sie.
- Beide haben Angst vor einem Kontrollverlust.
2. Gegensätze:
- Die Motivation des Narzissten liegt in der Suche nach Ruhm, Anerkennung und Bewunderung. Dies ist sein höchstes Ziel. Der Borderliner sucht nach Bindung und Abhängigkeit. Der Narzisst kann für Ruhm die Liebe opfern, ein Borderliner würde für die Liebe auf den Ruhm verzichten.
- Der Narzisst verleugnet seine Abhängigkeit von anderen Menschen, der Borderliner sucht verzweifelt nach menschlichem Kontakt und fühlt sich alleine unvollständig.
- Der Narzisst tritt nach außen selbstbewusst und selbstherrlich auf, der Borderliner hingegen fühlt sich minderwertig allen anderen gegenüber.
- In der Wut reagiert der Narzisst scharf, angreifend und verletzend. Es kommt zu anhaltendem Hass bis hin zu zerstörerischer Rache. Der Borderliner reagiert eher aufgeregt, unlogisch und chaotisch. Seine Ausbrüche sind spontaner, explosiver Art, die sich schnell wieder legen können. Ein Borderliner ist nicht so nachtragend wie ein Narzisst.
- Narzissten sind beruflich erfolgreich und beständig in ihren Bestrebungen. Borderliner sind häufig beruflich weniger erfolgreich. Selbst wenn sie Talente besitzen, gelingt es ihnen nicht, diese in eine dauerhaft beständige Leistung mit zielgerichtetem Abschluss umzumünzen. Sie sind unzuverlässiger.
- Ein Narzisst umgibt sich in der Öffentlichkeit nur mit besonderen Menschen, mit denen er sich „zeigen“ kann und die sein Ansehen erhöhen. Im privaten Bereich umgibt er sich eher mit Menschen, die sein Gefühl von Einzigartigkeit verstärken und die er als weniger talentiert und fähig erlebt. Der Borderliner macht hier keinen Unterschied: Er geht soziale Kontakte mit jedem ein, nur um das Alleinsein zu vermeiden.
- Ein Narzisst führt nach außen eine stabile Ehe, die allerdings nur der sozialen Fassade dient. Er neigt gerne zu einem Seitensprung. Der Borderliner hingegen wandert meist von einem Sexualobjekt zum nächsten. Er ist nicht in der Lage, eine stabile Ehe zu führen.
- Eine Unterhaltung dient dem Narzissten dazu, sich selbst zu inszenieren. Er will sich darstellen und mit seinen Worten einen bleibenden Eindruck bei anderen hinterlassen. Der Borderliner nutzt die Unterhaltung, um mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben und die Einsamkeit zu überwinden.
Der Narzisst und der Borderliner in einer Beziehung
Mit seinem nach außen hin selbstbewussten Auftreten, seinem Charisma und seiner Lebenskraft übt der Narzisst zunächst eine magische Anziehung auf den Borderliner aus. Dieser bewundert den Narzissten für seine Zielstrebigkeit, sein Durchsetzungsvermögen und seine klar strukturierte Persönlichkeit. Der Narzisst gibt dem Borderliner durch seine Führung Halt und Stabilisierung, die er selbst nicht in der Lage ist, für sich aufzubauen.
Auf der anderen Seite erhält der Narzisst vom Borderliner die uneingeschränkte Bewunderung, die er für sein Leben so dringend benötigt. Hier kommen am Anfang einer Beziehung zwei Bedürftige zusammen, die sich äußerlich perfekt zu ergänzen scheinen: Der Borderliner erhält Sicherheit und Stabilität, dem Narzissten wird im Gegenzug bedingungslose Bewunderung gewährt. Solange keiner von den beiden die Schwächen des anderen erkennt und sich daran stört, kann dies unter Umständen ein Leben lang halten. Der Borderliner hat im Narzissten sein Idealbild gefunden, nach dem er ewig auf der Suche war, und passt sich gerne seinem Partner an. Der Narzisst empfindet sich selbst als dieses Idealbild eines Menschen und wird durch die Treue des Borderliners in diesem Selbstbild bestätigt.
Was passiert, wenn die Harmonie schwindet?
Sollte jedoch die Idealisierung des Borderliners schwinden und er hinter die Fassade des Narzissten schauen können, wird er dessen Schwächen entdecken. Dieser Prozess wird zwangsläufig eintreten müssen, da sich der Borderliner aufgrund der schleichenden Abwertungen und der Geringschätzung des Narzissten, die dieser jedem Partner auf Dauer entgegenbringt, unverstanden fühlen wird. Der Narzisst kann sich aufgrund seines Mangels an Empathie nicht in die Gefühlswelt des Borderliners hineinversetzen und wird diesen folglich enttäuschen.
Diese Kränkungen wiederum führen beim Borderliner zu heftigen, impulsiven Gefühlsregungen und Verlustängsten. Er wird den Narzissten in ein Streitgespräch verwickeln und ihn mit seinen Vorwürfen heftig abwerten. Mit dieser Abwertung kann der Narzisst jedoch nicht umgehen. Er kann es nicht ertragen, wenn an seinem Bild vom grandiosen Selbst gerüttelt wird, was dazu führt, dass der Narzisst den Borderliner seinerseits angreifen und zurechtweisen wird. Der Narzisst wird den Borderliner dessen Minderwertigkeit spüren lassen.
Die Distanz führt wieder zur Nähe
Führt diese Auseinandersetzung schließlich zur Trennung, steht der Borderliner plötzlich wieder allein da – ein Zustand, den er nicht ertragen kann. Aus dieser Distanz entsteht bei ihm wieder der Wunsch nach Nähe. Da der Narzisst in seinem verletzten Stolz niemals auf den Borderliner zugehen wird, wird dieser zu ihm zurückkehren müssen und ihm somit wieder die benötigte Bestätigung geben. Dieser Vorgang kann sich – je nachdem wie sehr der Narzisst auf die Bewunderung des Borderliners angewiesen ist – ununterbrochen wiederholen bis es zur endgültigen Trennung kommt.
Die beiden können nicht miteinander, sie können aber auch nicht ohne einander. Jeder kann dem jeweils anderen geben, was dieser sucht. Gleichzeitig treffen sich beide aber sehr zielsicher an ihren empfindlichsten Stellen. Weder der eine noch der andere ist fähig, aus diesem Spiel die richtigen Schlüsse auf sein eigenes Verhalten und sein innerstes Selbst zu ziehen. Der Borderliner spiegelt dem Narzissten dessen Unfähigkeit zur Empathie, der Narzisst spiegelt dem Borderliner seine Labilität und Unsicherheit. Beide können sich gegenseitig ein Lehrmeister sein.
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