Ein Narzisst kann das Beziehungsleben durch sexuelle Zudringlichkeiten erheblich belasten, ohne sich dabei einer Schuld bewusst zu sein. Er glaubt, ein Recht auf sexuelle Befriedigung durch den Partner zu haben. Weigert sich der Partner, übt er sexuellen Druck durch Einschüchterung, Manipulation, Respektlosigkeit und Bestrafung auf ihn aus. Die Partner müssen sich dann oft notgedrungen auf ungewollten Sex einlassen, nur um den Narzissten zu befriedigen und sich vor weiteren Schikanen zu schützen.

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Ein Narzisst erwartet von seinem Partner, dass er ihn in all seinen Wünschen und Vorstellungen unterstützt. Deshalb erwartet er auch, dass der Partner ihm jederzeit für die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zur Verfügung steht, auch wenn dieser gerade keine Lust hat. Ein Narzisst hält sich für unwiderstehlich und kann sich deshalb gar nicht vorstellen, dass der Partner keine Lust auf ihn hat und seinen sexuellen Verführungen widerstehen kann. Eine Ablehnung durch den Partner empfindet der Narzisst daher als verletzende Zurückweisung – selbst wenn es sich um eine sehr freundliche Ablehnung durch den Partner handelt oder um den Vorschlag, die sexuelle Kuschelstunde auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Er fühlt sich übergangen und missachtet – was er mit seinem grandiosen Selbstbild nicht in Einklang bringen kann.
Bei Widerstand des Partners kann er dann beharrlich auf ihn einreden, um schließlich das zu bekommen, was der Partner ihm verweigert. Das folgende, zunehmend Druck ausübende Verhalten kann von einem Narzissten angewandt werden, wenn er seinen Partner zum Sex verführen will und dieser sich weigert:
1. Charme
Der Narzisst versucht, den Partner zu verführen, indem er sich ungewöhnlich freundlich und charmant gibt, den Partner mit zuvorkommendem Verhalten und herzerwärmenden Komplimenten umgarnt, sich sanft an seinen Körper schmiegt, ihn zärtlich streichelt und küsst und immer wieder beteuert, wie gerne er mit ihm zusammen ist und wie sehr er ihn liebt. Er verwöhnt seinen Partner, schafft die richtige Atmosphäre und hebt ihn in den Himmel.
2. Drängeln
Ist der Partner gerade nicht in der Stimmung und zeigt oder äußert seine Abneigung gegen Liebkosungen, beginnt der ungeduldige Narzisst zu drängeln. Unbeeindruckt von der ablehnenden Haltung des Partners setzt er seine Annäherungsversuche einfach fort und glaubt, seine Absichten durch hartnäckiges Anbiedern und dreistes Betatschen deutlicher machen zu müssen. Selbst wenn der Partner sein sexuelles Desinteresse klar und deutlich verbalisiert, macht der erregte Narzisst einfach weiter und äußert unflätige Bemerkungen wie „Was ist denn heute mit dir los?“ oder „Stell dich doch nicht immer so an!“ oder „Lass mich doch nicht so zappeln, ich weiß doch, dass du es auch willst!“.
3. Vorwürfe
Lässt sich der Partner auch nicht drängen, fängt der Narzisst an, ihm Vorwürfe zu machen: Er behauptet, sie hätten schon lange keinen Sex mehr gehabt, er werde ständig hingehalten, andere Paare hätten viel mehr Sex oder seine Partner seien in früheren Beziehungen nicht so frigide gewesen wie der jetzige. Der Narzisst beklagt sich über die sexuelle Verweigerung des Partners, macht ihm Vorwürfe und erinnert ihn offen oder subtil an seine Pflichten.
4. Bestrafung
Wenn der Partner auch durch Schuldgefühle nicht zu erweichen ist und der Narzisst einsehen muss, dass es heute nicht zum Geschlechtsverkehr kommen wird, neigt er zu Bestrafungen: Er tut nichts mehr für den Partner oder die Familie, hält sich nicht mehr an Absprachen und Regeln, geht nicht mehr auf die Wünsche des Partners ein und versucht sich auf jede erdenkliche Weise durch emotionale oder materielle Bestrafung am Partner für dessen Ablehnung zu rächen.
Der Überredungsprozess kann sich manchmal über Stunden hinziehen, sich täglich wiederholen und über Wochen das vorrangige und dringlichste Thema in der Beziehung sein. Ausreden und Entschuldigungen des Partners werden nicht akzeptiert, allenfalls kann sich der Partner mit plausibel klingenden Begründungen eine kurze Atempause verschaffen. Kurze Zeit später beginnt die sexuelle Belästigung jedoch von neuem und der Partner muss sich erneut mit den Forderungen des Narzissten auseinandersetzen. Leistet der Partner zu viel Widerstand, muss er unter Umständen neben der psychischen auch mit körperlicher Gewalt rechnen und kann sich letztlich nur noch vor den Aggressionen des Narzissten in Sicherheit bringen, indem er mit ihm schläft.
Der Preis für eine Ablehnung
Bekommt der Narzisst keinen Sex, kann er sehr ungemütlich werden: Er schweigt tagelang, wird launisch und nörgelt an allem herum, sabotiert die Wünsche und Ideen des Partners und beteiligt sich nicht mehr an einem harmonischen Beziehungsleben. Wiederholte Verweigerungen können bei dem Narzisst heftige Wut und Rachegedanken auslösen, die sich in subtilen Angriffen, die bei passender Gelegenheit in ein Gespräch eingestreut werden – wie ironische Bemerkungen, herablassende Kommentare und andere Sticheleien – bis hin zu hinterhältigen Intrigen äußern können. Der zurückgewiesene Narzisst wird streitsüchtig oder verweigert sich vollständig. Mit anderen Worten: Er ist zu nichts mehr zu gebrauchen.
Betroffene Partner müssen die Erfahrung machen, wie hoch der Preis für ein NEIN ist und dass es für sie günstiger ist, sich auf den Sex mit dem Narzissten einzulassen, auch wenn sie ihn nicht wollen. Sie willigen dann notgedrungen ein, um die sexuelle Drangsalierung zu beenden und sich vor weiteren Aggressionen und Bestrafungen des Narzissten zu schützen, die meist weitaus unangenehmer sind und länger andauern als die Dauer des ungewollten Geschlechtsverkehrs. So bekommt der Narzisst schließlich seinen Willen und stört sich nicht daran, wenn der Partner unmotiviert und lustlos beim Sex mitmacht.
Im Gegenteil, oft muss sich der unwillige Partner noch anhören, dass er sich nicht richtig an den sexuellen Spielen beteiligt und damit die sexuellen Bemühungen des Narzissten geringschätzt. Der lustlose Partner muss also zusätzlich zu seiner eigenen mangelnden Erregung aufpassen, dass er dem Narzissten nicht den Spaß verdirbt und für seinen mangelnden sexuellen Beitrag abgewertet wird und sich Beleidigungen wie „Du bist eine lahme Gurke“ anhören muss. Der ungewollte Sex hätte in diesem Fall sein Ziel verfehlt: Der Narzisst ist nicht zufrieden, beschwert sich beim Partner, macht ihm Vorwürfe und bestraft ihn für seine Lustlosigkeit. Der Partner muss also noch Begeisterung vortäuschen und dem Narzissten ein schönes Gefühl und tollen Sex vorgaukeln, sonst hat er hinterher den gleichen Stress, als hätte er den Sex verweigert.
Der Narzisst will den Geschlechtsakt dominieren
Dass die mangelnde Rücksichtnahme des Narzissten auf Dauer die Beziehung belastet, sich immer mehr Frustration aufgrund der sexuellen Zudringlichkeit bei gleichzeitiger wiederholter Ablehnung des Partners aufbaut und sich beide dadurch seelisch immer weiter voneinander entfernen, macht der Narzisst nicht zu seinem Problem. Er ist einseitig auf seine sexuelle Befriedigung bedacht und kümmert sich wenig um die Zufriedenheit und das innere Empfinden seines Partners. Der Körper des Partners dient in erster Linie der eigenen Erregung und der Demonstration der eigenen sexuellen Fähigkeiten. Das Wesen und die tieferen Empfindungen seines Partners interessieren ihn weit weniger.
Wenn der Narzisst Sex hat, dominiert er in den meisten Fällen den Geschlechtsakt. Der Narzisst will den Rhythmus und die Stellung bestimmen und geht dabei so energiegeladen vor, dass sein Partner gar keine Gelegenheit bekommt, Wünsche zu äußern und einzubringen. Selbstbewusst geht er voran und will ihm unbedingt zeigen, wie gut er ist. Mit kreativen, abwechselnden Stellungen und einer unermüdlichen Kondition will er überzeugen und sich vor allem als begehrenswert erleben: Er will in dem unersättlichen Verlangen seines Partners spüren, dass er der Größte und Beste ist, dass sein Partner noch nie zuvor in seinem Leben so guten Sex hatte und nichts auf der Welt so sehr braucht wie ihn.
Dem Narzissten geht es beim Sex nur um sich selbst – der Partner dient ihm nur zur Unterstützung seines Größenbildes. Andererseits kann es einem Narzissten durchaus gelingen, dem Partner mit perfekter Technik ein sexuelles Vergnügen erster Güte zu bereiten. Dabei geht es aber mehr um die körperliche Stimulation und weniger um die seelische Verschmelzung. Dies kann bei richtiger Technik durchaus für beide Partner ein Hochgenuss sein und zu stundenlangem Vergnügen führen. Mit echter und inniger Liebe hat das aber nicht unbedingt etwas zu tun. Da es dem Narzissten um die Pflege seines Egos geht, bleibt das Gefühl tiefer emotionaler Verbundenheit und gegenseitiger inniger Anteilnahme am Erleben des anderen meist auf der Strecke.
Dies führt dann dazu, dass die Partner, denen es vor allem auch um das Gefühl tiefer Liebe, seelischer Verbundenheit und emotionaler Nähe zum Partner geht, die Sexualität auf Dauer als unzureichend empfinden. Manchmal fühlen sie sich auch für die sexuellen Bedürfnisse des Narzissten ausgenutzt, weil es zu sehr oder ausschließlich um die Befriedigung seiner sexuellen Wünsche geht. Sie wünschen sich ein Wir-Erlebnis, das mehr gegenseitige Fürsorge und Anteilnahme bietet als eine zwar technisch perfekte, aber emotional distanzierte Praktik. Konfrontiert der Partner den Narzissten mit seinen intimen Wünschen, fühlt sich der Narzisst oft kritisiert und ungerecht behandelt: Er glaubt, dem Partner ein wunderbares Erlebnis zu bereiten und kann nicht verstehen, wenn dieser von mehr emotionaler Nähe und Einfühlungsvermögen spricht. So kann narzisstischer Sex zwar auf der körperlichen Ebene zu einem Hochgenuss führen, die Pflege der seelischen Bedürfnisse kommt jedoch zu kurz.
Schutz vor sexuellen Übergriffen
Die Partner sind mit den unnachgiebigen Erwartungen des Narzissten konfrontiert und spüren ständig den sexuellen Druck, den der Narzisst auf sie ausübt und der umso stärker wird, je mehr sie sich verweigern. Wollen sie nicht Opfer seiner Aggressionen werden, können sie sich schließlich nur noch durch Sex retten – und erfahren durch ihre notgedrungene Zustimmung, dass die sexuelle Ausbeutung durch den Narzissten nicht nur weitergeht, sondern oft sogar noch perversere Ausmaße annimmt. Indem sie den ungewollten Sex ertragen, um die Harmonie in der Beziehung vermeintlich zu erhalten, belügen und verraten sich die betroffenen Partner selbst.
Letztlich können sich betroffene Partner nur aus dieser unglücklichen Situation befreien, indem sie ihre Grenzen klar markieren und verteidigen. Wenn sie keine Lust auf Sex haben, nicht in der Stimmung dafür sind oder Sex auf eine andere Art und Weise bevorzugen, als der narzisstische Partner es sich wünscht, sollten sie entweder ein klares Nein aussprechen oder ihre Bedürfnisse unmissverständlich äußern und Rücksicht einfordern. Ein Nein ist ein Nein – die Partner müssen sich trauen, es klar auszusprechen und durch entsprechenden Körperausdruck zu unterstreichen, sonst hört der sexuelle Missbrauch nie auf.
Da der Narzisst den Partner häufig als sein Eigentum betrachtet, über das er frei zu verfügen glaubt, akzeptiert er dessen Grenzen nicht ohne weiteres. Zudem empfindet er Einwände und Wunschäußerungen des Partners – auch wenn sie noch so gut gemeint sind – als Zurückweisung oder Kritik an seiner Person, so dass seine Aggressivität schnell zunehmen kann. Die Partner dürfen sich deshalb aber nicht zurückziehen. Sie haben das Recht, ihre Bedürfnisse zu äußern und dafür zu kämpfen – und wenn der Narzisst dafür kein Verständnis hat, dann liegt es nicht daran, dass sie unverschämte Ansprüche äußern, sondern daran, dass der Narzisst egoistisch ist und nur seinen Willen gelten lassen kann. Sexualität sollte der gemeinsamen Freude dienen und nicht der einseitigen Befriedigung eines Partners oder der Vermeidung von Bestrafung.
Ungewollter Sex in der Beziehung
Wenn ein Partner beharrlich nach Sex verlangt und der andere notgedrungen zustimmen
Paperback, 210 Seiten
Wow! Perfekt beschrieben. Mit all den Varianten der Druckausübung, ausgenommen Punkt 1, der wurde gleich übersprungen.
Ja, es ist sexueller Missbrauch.
Mit der immer gleichen Konsequenz: Der Krug geht solange zum Wasser, bis er bricht.
So schlägt sich der Narz durch’s Leben. Von einer Ehe in die nächste. Von einer Partnerin zur Nächsten. Und irgendwann ist der Lack ab. Dann sitzt er als alter Mann ganz alleine in seinem Haus. Wie mein Noch-Ehemann. Kein Mitleid.
Hab nach langer Zeit wieder einmal ins Forum geschaut und mich sehr gefreut, einen aktuellen Beitrag von Ihnen zu finden, Sven Grüttefien. Vielen Dank dafür.