Was verstehen Narzissten unter Harmonie in einer Beziehung?

Partner von Narzissten wundern sich mitunter darüber, was der Narzisst unter Harmonie versteht. Während sie darunter ein friedliches Miteinander, gegenseitige Rücksichtnahme und eine hohe Übereinstimmung  der Werte und Bedürfnisse beider Partner verstehen, neigt er dazu, diesen Begriff völlig anders zu interpretieren: Für ihn besteht Harmonie dann, wenn sich alles um ihn dreht und vor allem für sein persönliches Wohlergehen gesorgt ist.

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In einer Beziehung mit einem Narzissten existiert ein grundlegendes Missverständnis zwischen dem Narzissten und seinem Partner, was die Auffassung von Harmonie betrifft: Für seinen Partner bedeutet Harmonie, wenn man gut miteinander auskommt, gleiche Werte, Interessen und Bedürfnisse hat, sich vertraut und alles offen aussprechen kann, was man auf dem Herzen hat; wenn man aufeinander Rücksicht nimmt, sich untereinander abstimmt, für den anderen auch mal zurückstehen kann und das Gefühl hat, von dem anderen beachtet und geschätzt zu werden. Er versteht darunter, dass man sich ergänzt und zusammenpasst, Differenzen schnell und friedlich aus der Welt schafft, sich für den anderen freuen kann und sich beide Partner sicher und geliebt in der Beziehung fühlen. Für ihn stellt eine Beziehung eine Oase des Wohlfühlens, des Vertrauens und der Zärtlichkeit dar.

Eigentlich sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein und im Grunde überhaupt keiner Erwähnung bedürfen, wäre die Vorstellung eines Narzissten von einer harmonischen Beziehung nicht völlig verdreht. Für ihn fühlt es sich nämlich keineswegs harmonisch an, wenn er für seinen Partner zurückstehen muss, wenn er Rücksicht nehmen und sich den Bedürfnissen seines Partners widmen soll. Sobald sich in einer Beziehung nicht mehr alles um den Narzissten dreht, löst dies bei ihm sofort Stress aus und er ist dann alles andere als ausgeglichen und verständnisvoll.

Harmonisch fühlt sich eine Beziehung für einen Narzissten nur dann an, wenn der Partner alles tut, was er erwartet, und dieser sich so verhält, wie er es sich vorstellt. Wenn seine Bedürfnisse maximal befriedigt werden, wenn ihm sein Partner seine Wünsche von den Lippen abliest und sich stets seiner Meinung anschließt, seine Vorstellungen von einer Beziehung und einem idealen Partner noch übertroffen werden und er für alles, was er sagt und tut, ausnahmslos bewundert wird, dann fühlt er sich glänzend – ja geradezu berauscht – und glaubt deswegen, die Beziehung würde harmonisch verlaufen. Dass sich der Partner jedoch aufgrund der Egomanie des Narzissten unterdrückt und nicht hinreichend beachtet fühlt, nimmt der Narzisst nicht wahr.

Der Narzisst definiert, was Harmonie ist

Beschwert sich der Partner bei dem Narzissten, dass seine Bedürfnisse und Wünsche keinen Anklang in der Beziehung finden und sich alles immer nur um den Narzissten dreht, wird ihm diese Haltung zum Vorwurf gemacht: Dem enttäuschten Partner wird unterstellt, offenbar einen Streit anzetteln zu wollen und damit per se die Harmonie zu stören. Der Narzisst erkennt nicht, wie sehr er mit seinem egoistischen und rücksichtslosen Verhalten den Aufbau echter Harmonie behindert, sondern nur die vermeintliche Aufsässigkeit seines Partners, der sich scheinbar seinem Bild von Harmonie nicht anschließen will.

So wird dem Partner im Laufe der Beziehung immer wieder über Schuldzuweisungen suggeriert, das harmonische Zusammenleben zu behindern und sich querzustellen. Im Alltag führen dann oft bereits kleinste Begebenheiten dazu, dass der Narzisst seinem Partner vorwirft, nichts zu einem harmonischen Zusammenleben beizutragen: Der Partner kocht beispielsweise nicht das Gericht, das sich der Narzisst wünscht, obwohl sein Partner keinen Appetit darauf hat. Dem Partner wird verboten, sich mit seinen Freunden zu treffen, und muss sich stattdessen mit dem Narzissten Fußball im Fernsehen anschauen. Oder der Partner erlaubt sich, den Sex zu verweigern, weil er gerade nicht in Stimmung ist.

Der Narzisst will alles allein bestimmen: Er wählt den Urlaubsort, das Restaurant, die Hobbys und den Freundeskreis und wirft dem Partner sofort vor, sich rücksichtslos zu verhalten und die Harmonie zu stören, wenn er seine Ideen nicht vorbehaltlos und voller Enthusiasmus unterstützt und sich daran beteiligt. Selbst wenn der Partner bereit ist, beispielsweise eine Fahrradtour mit dem Narzissten zu machen, und dann zwischendurch bei dessen Tempo nicht mithalten und Anstiege nicht bewältigen kann, wird er als Spielverderber hingestellt, der nicht mitziehen will.

Der Partner muss Harmonie vorgaukeln

Der Narzisst empfindet es als Ungehörigkeit, wenn er nicht nach seiner Erlaubnis oder Meinung gefragt wird, wenn der Partner sich nicht mit ihm abstimmt und er nicht über alles im Bilde ist. Er begründet sein Misstrauen, seine Eifersucht und seinen Kontrollzwang mit seinem angeblichen Bestreben um Harmonie und kann gar nicht nachvollziehen, dass sich sein Partner deswegen bedrängt fühlt. In den Augen des Narzissten verweigert sich sein Partner und beteiligt sich nicht richtig, weshalb der Narzisst seinen Partner ständig ermahnen, kritisieren und beschuldigen muss und aus diesem Grund keine Harmonie aufkommen kann. Der Narzisst fragt nicht nach der Meinung und den Wünschen seines Partners und integriert diese nicht ins Beziehungsleben, sondern ist ausnahmslos davon überzeugt zu wissen, was das Beste für beide ist. Er ist sich seines eigenen Anteils an der fehlenden Harmonie überhaupt nicht bewusst und macht allein seinen Partner dafür verantwortlich.

Der Partner erlebt aber unter diesen Umständen niemals einen echten harmonischen Zustand. Bestenfalls kann er einen Moment des Friedens und der Eintracht genießen, wenn er dem Willen des Narzissten folgt und dieser deswegen zufrieden ist. Von einem Zustand vollkommener Harmonie ist man allerdings immer noch meilenweit entfernt, doch hat der Partner dann wenigstens etwas Ruhe vor der Gängelei des Narzissten. Doch nur weil kein Konflikt vorhanden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass Harmonie besteht – auch wenn es sich für den Narzissten so anfühlt.

Bei jeder Idee des Narzissten ärgert sich der Partner innerlich darüber, dass er wieder nachgeben muss, dass auf ihn nie Rücksicht genommen wird und dass er ständig das Nachsehen hat. Während der Narzisst zufrieden ist, rumort es in dem Partner gewaltig: Er muss die Zähne zusammenbeißen und gute Miene zum bösen Spiel machen, damit er den Narzissten ja nicht provoziert. Er muss Freude und Harmonie vorgaukeln, damit sein narzisstischer Partner gutgelaunt ist, während er innerlich verärgert ist.

Wie wird Harmonie in einer Beziehung erreicht?

Partner müssen lernen, sich von der Vorstellung, die der Narzisst von Harmonie hat, zu lösen. Harmonie ist, wenn die unterschiedlichen Eigenschaften, Werte, Bedürfnisse, Wünsche und Interessen eines jeden Partners so in die Beziehung einfließen, dass sich jeder dabei wohlfühlt. In einer harmonischen Beziehung können sich beide Partner authentisch verhalten, ohne den anderen damit in der eigenen Entfaltung einzuschränken oder in ihm Ängste auszulösen. Die Andersartigkeit des Partners wird nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfunden und in die Beziehung integriert. Konflikte werden nicht als ein Übel angesehen, sondern als eine Chance, den Partner besser zu verstehen und die gegenseitige Liebe zu festigen.

Wenn beide Partner Verständnis für den anderen aufbringen, ehrlich interessiert an dessen Person sind, ihm zuhören und ihn verstehen wollen, ihn so akzeptieren, wie er nun einmal ist, und ihn dafür weder verurteilen noch in irgendeiner Form verändern wollen, sondern ihm dabei helfen, sich seine ureigensten Bedürfnisse zu erfüllen, sein Potenzial zu verwirklichen und seine Ängste zu minimieren, dann kann man von Liebe und Harmonie sprechen. Man arbeitet nicht gegeneinander, niemand ist in der Beziehung besser oder schlechter, niemand hat die Vormacht und niemand wird unterdrückt. Alle Aspekte finden in Einklang Berücksichtigung in einer harmonischen Beziehung.

Um echte Harmonie zu erreichen, ist es notwendig, sich für den anderen zu interessieren, Anteil an seinem Leben und Erleben zu nehmen und das Zusammenseins mit ihm abzustimmen, so dass sich beide in der Beziehung wiederfinden. Ein solches Vorgehen bedeutet für einen Narzissten allerdings, ein Stück seiner Autonomie und damit seines Freiheitsdranges aufzugeben – und dies empfindet er als unerträglichen Schmerz. Auf etwas zu verzichten und sich kleinmachen zu müssen, widerstrebt dem Narzissten und führt dann dazu, dass er dem Partner kurzerhand unterstellt, keine Ahnung davon zu haben, was Harmonie ist. Auf diese Weise verdreht der Narzisst die Meinung des Partners und nimmt ihn nicht ernst, was per se schon ein Beweis für sein mangelndes Gespür für Harmonie ist.

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