Eine platonische Beziehung mit einem Narzissten

In seltenen Fällen pflegen Narzissten eine rein platonische Beziehung zu einem anderen Menschen ohne jegliches sexuelles Begehren. Sie suchen dann zwar die Nähe eines anderen und versuchen, diesen zu vereinnahmen und an sich zu binden, ihr Interesse zielt aber nur auf eine geistig-seelische Vereinigung – die körperliche Verschmelzung wird nicht angestrebt.

Ein platonische Beziehung mit einem Narzissten

Bild: © antonioguillem – 123rf.com

Kann man eine platonische Beziehung mit einem Narzissten führen? Kann ein Narzisst überhaupt platonisch lieben? Ein Narzisst ist doch eher dafür bekannt, seinen Partner zu verführen, zu erobern und mit fantastischem Sex zu verzaubern, um ihn darüber emotional von sich abhängig zu machen. Ein Narzisst sucht immer nach der perfekten Liebe – und die schließt auch körperliche Zärtlichkeiten und das Ausleben erotischer Fantasien mit ein.

Eine platonische Beziehung hingegen bedeutet, dass man mit einer Person zwar befreundet ist und eine Beziehung führt, auf beiden Seiten jedoch keinerlei sexuelles Interesse besteht. Es besteht zwar eine enge, zwischenmenschliche Bindung und man fühlt sich stark miteinander verbunden, die erotische Ebene allerdings bleibt außen vor: keine Berührungen, keine Küsse, keine Liebkosungen, keine sexuellen Aktivitäten. Die Beziehung besteht nur aus rein geistig-seelischen Inhalten – alles ist ganz harmlos und rein kumpelhaft wie bei zwei Geschwistern, die gemeinsam durch dick und dünn gehen.

Dennoch greift eine platonische Beziehung weiter als eine Freundschaft: Man verbringt nicht nur einfach Zeit miteinander, mag und vertraut sich und unterstützt sich gegenseitig. Man fühlt auch intensiv mit dem anderen mit, versteht seine Sorgen und Bedürfnisse und nimmt auf einer sehr tiefen Ebene starken Anteil an seinem Leben. Man ist bereit, gemeinsam mit dem Partner Krisen durchzustehen, Opfer für ihn zu bringen, ihm jederzeit zu verzeihen und hundertprozentig loyal zu sein. Beide Partner fühlen sich stark zueinander hingezogen und miteinander verbunden, ohne eine körperliche Anziehung zu verspüren.

Eine platonische Beziehung kann auch eine Form der Liebe sein

Partner können in einer platonischen Beziehung sogar zusammenleben, einen gemeinsamen Haushalt führen und finanziell füreinander sorgen. Sie können sogar eifersüchtig aufeinander sein und den anderen als ihren Besitz ansehen. In einer platonischen Beziehung kann alles so sein wie in einer normalen Beziehung, nur dass das Thema Erotik und Sex keine Rolle spielt und keiner der beiden Partner danach verlangt.

Ursprünglich ist die Form der platonischen Liebe auf die Überlegungen des Philosophen Platon zurückzuführen: Er sieht in der Liebe ein Streben nach Höherem und Schönerem. Seiner Meinung nach kann eine vollkommene Lustbefriedigung nur auf der geistigen Ebene in Form von höheren Erkenntnissen eintreten. Nach dem Weltbild von Platon strebt wahre Liebe nach Erleuchtung und nur dies kann größtmögliche Erfüllung schenken. Daher ist für Platon die platonische Liebe die reinste Form der Liebe, weil sie mehr als körperliche Befriedigung und das Ausleben von Begierden bedeutet.

Gerade für einen Narzissten scheint diese Art von Liebesbeziehung aber eher untypisch zu sein, weil sie auf den ersten Blick abwegig und langweilig erscheint. Der Narzisst neigt dazu, sich in erster Linie körperlich stimulieren zu wollen, um darüber starke Gefühle zu erleben und seine innere Leere zu füllen. Es scheint aber auch Narzissten zu geben, die ein Gefühl von Großartigkeit und starke Erregung über einen rein geistig-seelischen Austausch erhalten und sich damit durchaus begnügen.

In einer platonischen Beziehung wird keine körperliche Nähe gesucht

Es kann in diesen Fällen sein, dass der Narzisst eine sexuelle Aversion hat und für ihn eine sexuelle Partnerbeziehung stark mit negativen Gefühlen verbunden ist. Der Narzisst kann auch unter einer sexuellen Funktionsstörung leiden oder ganz allgemein die Lust am Sex verloren haben. Dann interessiert er sich nur für Partner, die sich in einer Beziehung ebenfalls asexuell verhalten und keine körperliche Nähe wünschen.

Der Narzisst kann dann in einer platonischen Beziehung das Erleben der eigenen Großartigkeit nicht über das Herausstellen seiner sexuellen Potenz erreichen – er muss seinen Partner auf andere Weise von sich begeistern. In diesem Fall rückt der Narzisst andere Eigenschaften in den Vordergrund wie z. B. gegenseitiges Verständnis und Füreinander-da-Sein, Opferbereitschaft, gemeinsame Interessen und Aufgabenbewältigungen sowie Förderung der beiderseitigen geistig-seelischen Entwicklung.

Da er weniger mit seinen sexuellen Fähigkeiten glänzen kann oder will, versucht er in einer platonischen Beziehung, der beste und idealste Partner zu sein: Er will immer für den anderen da sein, ihm alles abnehmen, ihm stets mit Rat und Tat zur Seite stehen und jederzeit aufmerksam sein. Alles soll sich nur noch um den Partner und dessen Glück drehen. Doch so rührselig sich der Narzisst auch nach außen um seinen Partner kümmern mag: Letztlich geht es ihm nicht wirklich um dessen Befinden, sondern vorrangig darum, dass ihn sein Partner als einen idealen Menschen wahrnimmt und anerkennt.

Auch in einer platonischen Beziehung geht es dem Narzissten um Bewunderung

Ob nun mit oder ohne Sex: Ein Narzisst will in einer Beziehung über den Partner seine Grandiosität gespiegelt bekommen – und hierzu nutzt er alle Möglichkeiten der Manipulation und missbraucht seinen Partner. Es kann sein, dass er ihn weniger dafür braucht, seine Menschlichkeit zu präsentieren, als vielmehr dafür, sein Wissen und seine Intelligenz zu demonstrieren, seine praktischen oder organisatorischen Fähigkeiten herauszustellen oder sein berufliches Fortkommen und seinen gesellschaftlichen Status zu verbessern oder zu erhalten.

Ein Narzisst kann in einer platonischen Beziehung auch nur vorgeben, enthaltsam leben zu können oder zu wollen, um seinen Partner damit zu quälen. Er ergötzt sich dann an dessen Bemühungen, ihn zu verführen, ohne aber dessen Wunsch nach körperlicher Nähe jemals nachzukommen. Für ihn ist nicht der erotische Akt das ersehnte Ziel, sondern die Gier des anderen nach seinem Körper. Auf diese Weise lässt der Narzisst seinen Partner sexuell verhungern, macht ihm allerdings ständig neue Hoffnung auf erotische Abenteuer, indem er z. B. vorgibt, früher ein befriedigendes Sexualleben mit anderen Partnern geführt zu haben. Damit suggeriert er dem aktuellen Partner, dass seine Keuschheit an ihm liegen muss.

Auch kann der Narzisst in eine platonische Beziehung flüchten, um der Einsamkeit zu entfliehen. Um nicht mit der eigenen inneren Leere in Berührung zu kommen, sucht er sich einen Partner, der sich zwar eine enge Beziehung wünscht und gerne für einen andere da ist, der aber keine sexuellen Wünsche hat. Dies kann der Fall sein, wenn der Partner aufgrund des Alters oder gesundheitlicher Einschränkungen das Interesse am sexuellen Verkehr verloren hat, unangenehme sexuelle Erfahrungen oder Missbrauch erleben musste oder sich in einer sexuell befriedigenden Beziehung mit einem anderen Partner befindet, dort aber keine seelische Liebe erfährt. Allein die Tatsache, dass jemand für ihn da ist und ihm Aufmerksamkeit schenkt, kann einen Narzissten befriedigen. Es geht ihm nicht immer primär um Sex, sondern in erster Linie um Bewunderung.

Die hier beschriebenen anormalen Verhaltensmuster können auch im Rahmen anderer Persönlichkeitsstörungen oder psychischer Erkrankungen auftreten. Sie sind nicht explizit nur bei einem Narzissten zu beobachten, wenngleich sie hier besonders häufig und deutlich auftreten können. Das hier beschriebene Verhalten muss aber nicht automatisch bei jedem Narzissten vorhanden sein und es kann auch situativ bei ansonsten psychisch unauffälligen Personen auftreten.


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Veröffentlicht in Beziehung mit einem Narzissten
11 Kommentare zu “Eine platonische Beziehung mit einem Narzissten
  1. Hallo,
    meine Patienten erzählen mir oft ähnliche Situationen. In vielen Fällen kommt im Nachhinein heraus, dass der N.-Partner schon eine neue sexuelle Quelle gefunden hat. Natürlich ist das nicht bei jedem so, aber schon eher häufig.

  2. Amy sagt:

    Nach meiner Erfahrung haben Narzissten immer irgendeine sexuelle Perversion. Meistens ist es aber eher umgekehrt: sie können sich Beziehungen ohne Sex nicht vorstellen.
    Sie bewundern jemanden, wollen etwas von ihm / ihr, beneiden die Person? Sie wollen mit ihr ins Bett. Trotz Altersunterschied, trotz bestehender Beziehung, trotz Machtgefälle usw.
    Jemanden einfach zu mögen ist ihnen fremd.
    Sie ticken wie Tiere: kann man es fressen oder vögeln? Nein? Uninteressant.

    • Punkt sagt:

      Ich musste jetzt über den Kommentar richtig herzhaft lachen!!!!

      Genauso sehe ich es auch!!

      Richtig spaßig ist es auch, wenn zwei Narzissten ( oder mehr) aufeinander treffen. Sitcom.

      Die Antwort von Herrn Grüttefien bringt „es“ perfekt auf den Punkt.

      Mehr ist dazu nicht zu sagen!

  3. Julia sagt:

    Für mich ein sehr interessanter und hilfreicher Beitrag, um ein weiteres und fast letztes Puzzleteil zu verstehen. Anfänglich gab er sich sehr offen und interessiert an Sex, zeigte sich sehr männlich und dominant. Letztendlich ist er sexuell jedoch sehr weiblich und devot. Er erfüllt sich seine Bedürfnisse und Befriedigung über seine Fetishe. Phasenweise bekam ich das Gefühl, dass er frauenfeindlich wirkte, weil er gerne das für ihn typisch Weibliche leben und verkörpern möchte, aber nicht wirklich dazu steht / stehen kann. Es erklärt seinen Perfektionismus, den er wohl mit mir ausleben wollte. Er hatte einen exzellenten Geschmack in Kleidung, Accessoires, Make-Up, Nagellack auftragen, Stoffe, Faible für Nylon, Latex und Heels, etc. und beschenkte mich entsprechend und ging mit mir Einkaufen.

    Anfänglich hatten wir viel Sex bzw. was normal ist für eine frische Beziehung. Das nahm rapide ab und ließ mich absichtlich oftmals abblitzen, was sehr weh tat. Viele Versprechungen, Ausreden und natürlich auch hier nur leere Worte ohne passende Handlungen. Stattdessen wurden mir Bilder anderer Frauen gezeigt und ich vorgeführt, dass er sich am Anblick der anderen Männer und teils Frauen ergötzen konnte. Das reichte ihm stellenweise. Weil es ihn bestätigte.

  4. Daphne sagt:

    Lieber Herr Grüttefien,

    danke für den Artikel. Nun hätte ich eine Frage!

    Kann es sein, dass, wenn das „Objekt der Begierde“ sexuell nicht mehr interessant ist für den Narzissten, dieser dann ohne Umschweife aus LIEBE Freundschaft macht und er diesen Umschwung dann auch ganz selbstverständlich von dem „Partner“ annimmt/verlangt? So nach dem Motto: „All meine Geliebten sind jetzt gute Freundinnen von mir“!

    • Wenn der Narzisst seine sexuellen Bedürfnisse mit anderen „Objekten“ ausleben kann und es ihm dort mehr Spaß macht, kann es sein, dass er sich frühere Geliebte warm hält entweder weil sie ihm noch in anderen Bereichen nützlich sind oder er sie für einen Seitensprung missbrauchen möchte.

    • Antinarz sagt:

      Also bei meinem Ex ist es so.
      Meine Vorgängerin und ich sind nur „Freundinnen“, ähem, eigentlich nicht mal das.
      Wir hatten danach noch Kontakt, sagen wir mal so, denn echte Freunde hat der ja nicht.
      Sex, na ja, da hatte ich die Hosen an, aber ich habe schnell das Interesse verloren.
      Für ihn schien es auch nur eine Pflichtübung zu sein.
      Je mehr ich über den nachdenke, desto langweiliger wird mir mittlerweile, gähn.
      Kickt die Typen aus eurem Leben und jut is.

  5. Sabina sagt:

    Gut, dass das auch angesprochen wird.
    Ich hatte so „platonische Beziehungen“ zu mehreren Männern (Narzissten) gleichzeitig und mir ist etwas aufgefallen:

    Der eine war mit mir verbunden, weil ich sein „Ehefrauen-Ersatz“ war, denn die ist ihm weggelaufen. Er hat zwar mal probiert, mich anzubaggern, aber ich wollte das nicht und er akzeptierte. 16 Jahre lang hatten wir eine sehr intime platonische Beziehung und ich war eben sein „Frauenersatz“ (Besser als nichts)
    Beim anderen war ich der „Mutterersatz“. Er wurde immer infantiler und rücksichtsloser.
    Rief mich sogar am frühen Morgen an ohne besonderen Grund. Ich meine, um 3:30 Uhr früh, schlägt man normalerweise. Und nur, weil er weiß, dass ich oft bis spät noch auf bin, ist das keine Rechtfertigung, mich um diese Unzeit anzurufen, denn ich hätte ja durchaus auch schon schlafen können. Habe dann den Kontakt zu ihm abgebrochen. Ich brauche keine egoistischen Kinder in einem Erwachsenenkörper. Ich könnte hier noch mehr Beispiele anführen.
    Mein Fazit zu platonischen Beziehungen: Man füllt eine Lücke als platonischer Partner.
    Selten ist die Zuneigung uneigennützig oder „edel“ und „hochentwickelt“. DAS gibt es nur bei langen Ehen. Wenn jemand 60 Jahre lang mit demselben Parnter glücklich und ohne materielle Abhängigkeiten verheiratet ist und der Sex schon lange keine Rolle mehr spielt, kann ich von einer platonischen Liebe sprechen.
    Diese Verbindung zwischen diesen Beiden ist in der Tat eine sehr tiefe und von echter Liebe geprägt.

    • lilli sagt:

      Interessantes Thema, interessante Erfahrungen deinerseits, Sabina.
      Ich erlebte in zwei früheren Beziehungen,dass sich Männer mit Narzissmusproblemen in der Partnerschaft mit erotischer Liebe zurückzogen,
      eben weil sie selbstherrlich allein bestimmen wollten und dafür total bewundert werden wollten. Kann von der Rückseite her als Quälenwollen wirken,
      wenn die Partnerin mit einseitigen Bemühungen mitspielt oder sich selber einschränkt und platonisch zurückzieht.
      Wer gegenseitiges Geben und Nehmen aus Narzissmusproblemen heraus nicht oder kaum verwirklichen kann,
      scheidet als Partner für eine normale erotische Liebesbeziehung aus.
      Dass zwei ‚Platoniker‘ sich finden, und so zusammenbleiben, weil sie ihr Überlegenseinmüssen im Bett gleich gar nicht riskieren,
      halte ich für möglich.

      • lilli sagt:

        … aus meinen persönlichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Informationen heraus,
        sehe ich die Einschränkung eines Menschen mit Narzissmusproblemen intrapersonell,
        nicht interpersonell,
        als Folge der persönlichen Verschüttungen der Gefühle.
        (Ein Mensch mit Disposition zu mangelnder Gefühlswelt wäre der Psychopath.)
        Meine Generation ist die Generation der Kriegsteilnehmerkinder,
        in der Verschlossenheit, Verleugnung und Schuldgefühle der normalen Eltern, vor allem der Väter,
        aus der zutiefst verunsichernden Kriegssituation,
        mit Unmenschlichkeiten,
        bis zu getötet werden zu können, töten zu sollen, bzw.getötet zu haben,
        zum zwanghaften, undurchdringlichen Überspielen und Überlegentun oder Unterdrücken,
        in normalen Friedenszeiten, führte.
        Narzissmusprobleme als Folge von Verwöhntwerden oder zusätzlich zu viel Materalismus, statt liebevoller Unterstützung des eigenen Werdegangs eines Menschen,
        halte ich für die zeitgemäße, eher therapierbare, Variante von Narzissmusproblemen.

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